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Iris Kretzschmar

Visionäres Erleben

Es sind geheimnisvolle Paradieslandschaften, voller Poesie und Abgründigkeit, die Barbara Peyer seit über 30 Jahren malt. Entrückte Welten, subtil, intim und melancholisch gestimmt. Zentral für die Wirkung ist die Farbe und deren Ausstrahlung. Manchmal scheinen die Bilder wie aus dem Innern heraus zu leuchten. Darin kann Idyllisches neben Albtraumhaftem, Romantisches neben Zeitgemässem erscheinen und nächtliches Geschehen auf helle Tagträume folgen.

Das Werk von Barbara Peyer hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Die früheren Arbeiten sind eher figurativ und narrativ angelegt. Sie tragen vermehrt fantastische Züge und auch Märchenhaftes kann in Erscheinung treten. Magische Tiergestalten und starke, exotische Frauenfiguren haben darin ihren Auftritt. Die Arbeiten aus den letzten fünf Jahren zeigen eine Tendenz zur Ausschnitthaftigkeit, sind abstrakter angelegt und lassen das erzählerische Element in den Hintergrund treten. Es ist kein abrupter Bruch, der die Differenz zwischen älteren und neueren Arbeiten auszeichnet. Zu beobachten ist vielmehr ein sanftes Ablösen, ein Übergang und Blickwechsel, der seit den Anfängen motivisch in der Bildsprache angelegt ist.

Barbara Peyers Bilder entwickeln sich langsam. Viel Zeit und Intuition fliessen in den behutsamen Aufbau ein. Der Farbauftrag, der sich durchdringenden und überlagernden Malschichten, das Darunter und Darüber, muss sorgfältig geplant werden. Oft entstehen zur Vorbereitung probeweise mehrere Kleinformate, die sich aber nicht zwingend mit dem nachfolgenden Grossformat decken müssen und manchmal zu autonomen Werkgruppen weitergeführt werden. Die Künstlerin mischt die Farben selber an. Pinselduktus und Oberflächenwirkung setzt sie gezielt ein, um die Wirkung zu steigern.

Die Inspirationfür die Bilder kommt aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Grundsätzlich schöpft die Künstlerin aus ihrer reichen Innenwelt, die von vielerlei Eindrücken aus dem Erleben ihres Alltags genährt wird. Referenzen an die Romantik, den Surrealismus und den Symbolismus tauchen auf und werden zu einer persönlichen Bildsprache transformiert. Gesehene Bilder und Fundstücke, wie Steine, Muscheln, getrocknete Blumen oder Fotografien, können befruchtend in den schöpferischen Prozess einfliessen. In jüngsten Arbeiten von 2019 und 2020 tauchen gar kyrillische Buchstaben als Form und Bedeutungsträger auf. Die Bildtitel sind hier russische Begriffe, die als Lettern erscheinen und das Bildgeschehen inhaltlich vertiefen. Sie sind nur für Eingeweihte lesbar. Am wichtigsten für die Bildgenese sind wohl Peyers Studienreisen und Atelieraufenthalte in ferne Gegenden, wie beispielsweise nach Georgien, Russland, Marokko, Tunesien, Ghana, Senegal und Südafrika. Die Künstlerin braucht die Herausforderung durch fremde Kulturen, um ihren inneren Bilderschatz zu nähren. Hier findet sie Ungewohntes und frische Eindrücke, die verwoben mit der Intuition zum bildbestimmenden Stoff ihrer Werke werden. Gleichzeitig schreiben sich so Erinnerung und Zeitlichkeit in ihre Bildschöpfungen ein.

Landschaften als ferne Paradiese

Und immer wieder die Natur – die Künstlerin trägt sie in sich und lässt sie in ihrer Malerei neu entstehen. Seit etwa 10 Jahren bestimmt die Vegetation ihre Motive und bildet die Kulisse für die stillen Narrationen. Im weitesten Sinne sind es Landschaften, die ganz nahe und fern zugleich wirken können. Nah, weil sie deutlich erkennbar, fern weil sie nicht wirklich fassbar sind. Manchmal erinnern sie an unzivilisierte Gegenden, dichte Urwälder, wo der Blick mit Bäumen, Lianen und Unbekanntem verstellt ist. Ein anderes Mal kann der Blick in die Weite über ganze Seenplatten schweifen. Manchmal tauchen darin Wesen, Menschen oder Tiere auf. Versonnen geben sie sich der Betrachtung hin. Sie sitzen sinnend in Bäumen oder ziehen verloren, wie Schlafwandler, durch diese entrückten Welten. In «Passage» von 2014 sind drei Gestalten in einem Boot auf dunklen Gewässern unterwegs. Wohin mag die Reise wohl gehen? Während der Vordergrund im Bild verschattet ist, leuchtet der Hintergrund in lichten Farben. Schiff und Fluss mögen für ein Unterwegssein stehen, eine Lebensreise ins Ungewisse andeuten. In einer nächtlichen Szenerie von 2016 sitzt eine kleine, weisse Gestalt nachdenklich am Ufer eines immensen Sees. Auf der dunklen Wasseroberfläche erscheint ein wundersames Schauspiel von Bäumen und Pflanzen, die sich dort in phosphoreszierenden Farben spiegeln – als würde sich ein Traum des Menschen darin visualisieren.

Körper als Teil des Bildorganismus

Wenn in den 2000er Jahren die Landschaftsszenarien von Barbara Peyer noch mehr oder weniger klassisch, mit Vorder-, Mittel-, Hintergrund und einem Horizont auftreten, hat sich die Perspektive in den letzten Jahren stark verändert. Die traditionelle Raumgestaltung ermöglichte bisher die Kontrolle des Bildgeschehens. In den jüngsten Werken unterläuft Barbara Peyer diese Strategie. Sie verzichtet auf den distanzierenden Überblick, fokussiert und taucht ein – sie wird selber massgeblicher Teil ihres Bilderkosmos. Nahe wird hier das Auge ans Bildgeschehen herangeführt, die Distanz in der Betrachtung verliert sich zunehmend. Die Bilder kommen nun ausschnitthaft daher und evozieren, dass sie Teil eines viel grösseren, bestimmenden Schöpfungsganzen seien. Sie werden zu wahren Bildkörpern, durchzogen von Arabesken aus Ästen, Blattwerk und Schlingpflanzen, die wiederum an einen lebendigen, von Adern durchdrungenen Organismus erinnern. Das Oben und Unten im Bildgeviert beginnt sich aufzulösen. Das Gemälde wird so zu einer Art Landschaftskörper, der sich im Malakt selber hervorbringt.

Betrachtung verlangt Hingabe, sich dem Unerforschten und Unkontrollierbaren zu überlassen. Der Blick taucht in einen Tiefenraum ein, gleitet zwischen Wurzelwerk und Geäst durch die Zwischenräume hinweg ins Innere. Der menschliche Körper taucht nun nur noch fragmentarisch, als Teil eines naturhaften Ganzen auf. In einem Bild von 2018 ruht ein nackter Frauenkörper im Dickicht. Fast wie ein träumendes Dornröschen wirkt die friedliche Schläferin. Nicht aus Fleisch und Blut scheint sie zu sein, eher wie ein Astralkörper, der nicht stofflich vorhanden, sondern aus Licht geboren wurde. Schlummernd fügt sie sich zwischen Astwerk und Wasserströme in die Schöpfung ein. Die Beine und Füsse sind abgetrennt und tauchen in einem anderen Bild im gleichen Jahr auf. In einem weiteren Bild von 2018 erscheint eine schlafende Wölfin, als hätte sich der Mensch verwandelt. Noch stärker verbinden sich hier die Adern der Farbströme mit den Körpern. Der Antagonismus Mensch – Tier wird überwunden, das Individuum löst sich auf, um ein Teil der Vegetation zu werden.

Mächtige Tierwesen

Tiere ganz unterschiedlicher Art bewohnen diese exotischen Gebiete. Oft wirken sie irreal, traumhaft und verklärt, als wären sie Fabelwesen. Hauptsächlich sind es Vögel, Pferde, Wölfinnen, Rehe und (Raub-)Katzen, auch Schildkröte und Maus haben ihren Auftritt. Ihr scheinbar reales Aussehen leihen diese Tiere dem Bild nur, um eine hintergründige Dimension zu offenbaren. Sie stehen für Übergänge und mythische Präsenz von spirituellen Welten. In einem Bild von 2016 nähern sich zwei weisse Panther von links und rechts einem zentralen Lebensbaum. Ein Nebel aus feinstem Sternenstaub durchzieht die Szenerie. Welchem Geschehen wohnen wir hier bei? Panther sind kraftvolle Wesen und können für eine Art Seelen- oder Totemtier stehen, wie sie viele alte Kulturen kennen. Oder verkörpern sie eine intuitive, tierische Natur, die abgründig und unkontrollierbar ist? Es sind eine Art persönliche Schöpfungsmythen, die Barbara Peyer in ihrem Oeuvre erschafft.

Die Verbindung zum Kosmischen ist in vielen ihrer Bilder präsent. Auf einem Gemälde von 2017 beherrscht ein helles katzenartiges Wesen formatfüllend das Dunkel. Es ist ganz durchwirkt von winzigen Leuchtpunkten. Sie verdichten sich zu Spiralen, als würde sich sein Körper in ein grosses Sternenbild verwandeln, um am Firmament in alle Ewigkeit weiter zu glimmen. Die angedeutete Metamorphose ist ein altes Thema in Legenden und Mythen, wo Menschen und Tiere zu Sternbildern transformiert werden: Der sterbliche Körper wird zu immateriellem Licht.

Auch Wasserwesen sind in Barbara Peyers malerischen Räumen präsent. Das flüssige Element ist weniger beherrschbar als festes Material – es kann für eine Welt des Unbewussten und Unkontrollierbaren stehen. Grosse Fische, wie beispielsweise japanische Koi, tauchen in den dunklen Tiefen von Gewässern auf und schweben durch Unterwasserwälder. Im Werk «Mondfisch (2013) sind es kindliche Wesen, die einem dieser mächtigen Wasserbewohner begegnen. Blau irisierend und in kühner Wendung erhebt er sein Haupt vor einer leuchtenden Mondscheibe. Ganz anders bei den «Fischmädchen» von 2015, wo drei golden leuchtende Karpfen ein kleines Mädchen mit einer Schleife im Haar umgarnen. Fast schützend schmiegt sich der Körper eines Wassertiers an das Kind. Mit erotischen Anklängen versehen ist der «Ritt auf Fisch» von 2013, wo eine junge Frau rückwärts auf dem Rücken einer übergrossen Kreatur durch das Geäst eines Waldes reitet. Auch Pferde sind gelegentlich ein Bildmotiv. In «Kraftwerk» von 2017 erscheinen hinter überdimensionierten Lotosblüten ein Ross mit Reiterin. Der helle Tierkörper ist märchenhaft durchwirkt von Ornamenten aus Blättern und Blumen. Tier und Frau wenden ihren Blick dem entflammten Energiekörper eines Elektrizitätswerks zu. Eine Architektur aus der Basler Umgebung wird hier zum nächtlichen Trugbild, zur Vision der Malerin.

Alle Gemälde von Barbara Peyer haben eine verführerische Anziehungskraft, angeregt durch ein schillerndes Kolorit und eine verrätselte Darstellung. Sie verströmen ein Licht, das die Unwirklichkeit dieser abgründigen Paradieswelten bestimmt, und Farben, die eine sehnsüchtige Melodie anstimmen, um in der Dunkelheit zu verglühen. So gerne man diese Orte ergründen möchte, sie sind nicht auf Entschlüsselung hin angelegt. Zwar lösen sie Fragen und eine intensive Annäherung aus, bewahren aber ihr Geheimnis bis zuletzt. Das ist gut so, denn Betrachtung heisst, sich den Bildern auszusetzen, selber eine Gedankenreise in die eigene Innenwelt zu wagen. Alles ist im Fluss, ja in Verwandlung begriffen. In dem lebendigen Wirken der Bildszenarien von Barbara Peyer ist sowohl das Schöpfungsmoment alles Kreatürlichen als auch dessen Auflösung und Wiedergeburt malerisch angelegt – ein Kreislauf, der Kunst, Mensch und Überzeitliches verbindet.

Iris Kretzschmar

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